Abenteuer im indischen Himalaja
In eine Welt eintauchen, die so nur mit dem Gleitschirm erreichbar ist.
Eine einzigartige Flugreise zum indischen Himalaja. Basecamp, Hike & Fly, Vol-Biv. Ein kleines Stück des weiten Himalaja erfliegen, ein einmaliges, intensives Fluggefühl. Traumhafte Gleitschirmfüge, tiefe Freundschaften – auch in sehr schwierigen Situationen.
Jakub «Kubo» Beno, Martin «Gabo» Gaborik und Andrej Durana ha- ben ihr Herz seit langem dem Himalaja verschrieben. Erst dort haben sie so richtig iegen gelernt. Ein bis zwei Mal pro Jahr reisen die drei deshalb nach Nordindien. Inzwischen verfügen sie über ein grosses Know-how des lokalen Wetters, der Flugbedingungen und auch über die Organisation der Flug-Permits. Perfekt also für mich, mit ihnen eine Flugreise im Himalaja zu erleben! Hinzu kommt ihre sympathische und lebensfrohe Art.
Nach einigem hin und her, wo genau wir hingehen sollten, haben wir uns – wegen der imposanten Landschaft und den guten Flugbedingung – für das Machial Village entschieden, ein kleines Dorf im Bundesstaat Kashmir. Auch deshalb, weil Kubo und Krischa Berlinger die Region bereits im Jahr 2015 erkundet und erste Schritte für ein Flug-Permit eingeleitet haben. Im indischen Himalaja braucht man für legale Flüge häufig ein Permit, resp. man muss sich bei der Polizei anmelden. Dabei ist es durchaus möglich, dass einem die lokalen Autoritäten diese Ge- nehmigung aus fadenscheinigen Gründen verweigern. Möglicher Grund sind die nahe Grenze zu Pakistan und China, aber auch die Furcht, Ver- antwortung zu übernehmen. Privilegien sind ein hart erkämpftes Gut.
Eselkarawanen
Unsere Expedition startete in Gulabgarh. Neben letzten Einkäufen und der Übergabe des Permits an die Polizei hatten wir genügend Zeit, erste Flüge zu machen. Das Cricketfeld in der Mitte des Dorfs diente uns als Landefeld. Somit wussten alle Bewohnerinnen und Bewohner in Windeseile, wer wir sind und was wir hier machen. Europäische Touristen kommen selten hierher. Einerseits ist die Anreise mühsam, andererseits raten die meisten auswärtigen Dienste in Europa von Reisen ab – in Kashmir schwelt seit Jahrzehnten ein Kon ikt zwischen Indien und Pakistan. Bei den Hindus ist die Gegend beliebt wegen dem der Göttin Durga geweihten Mata-Tempels (Göttin der Vollkommenheit, die populärste Göttin im Hinduismus); im August feiern hier jeweils Tausende von Pilgern ein fünftägiges Fest.
Dann ging es los. Kubo, Gabo, Andrej, Bodo Zimmermann, unsere Fahrer/Köche Surjeet «Bablu» Kumar und Rockey Thakur und ich machten uns auf den Weg ins Machial-Mata-Tal. Um fünf Uhr in der Früh beluden wir die sechs Esel mit Camping-, Flugequipment und Essensvorräte für zwei Wochen. Die Wanderung dauerte eineinhalb Tage – immer dem Fluss Bhul entlang, der sich unserem Ziel durch ein idyllisches Tal entgegenschlängelte. Wir kreuzten andere Eselkarawanen, kamen an Dörfern vorbei und wurden von den Einheimischen immer herzlich begrüsst. Kurz nach unserer Ankunft in Machial Village wurden wir auch schon von neugierigen Einheimischen umringt. Dass sie stundenlang einfach nur dastanden und zuschauten, wie wir unser Lager aufbauten, war schon eine neue Erfahrung... Unser Base Camp lag am Ende eines grossen Ackers, der uns später als auch als Landeplatz diente – geschützt von grossen Steinen und nah am fliessenden Wasser.
Wilde Landschaft
Geweckt wurden wir normalerweise von der Sonne. Die Tage begannen gemächlich, wir kochten unser Morgenessen, meistens Nudeln mit Ei, packten dann unser Material sorgfältig zusammen und machten uns jeweils zwischen 10 und 11 Uhr auf den Weg zum 500 Meter höher gelegenen Startplatz auf 3300 m. Dort beobachteten wir die Wolken, den Wind, die Thermik und die Geier. So lange, bis wir uns sicher waren, dass nun gute Flugbedingungen herrschten. Dann folgte das schichtweise Anziehen der Kleider. Am besten immer gleich alles, da wir nie wussten, wie weit hinauf wir kommen. Nach dem Material- und Funkcheck ging es in die Luft.
Die Anfangsphase war immer zäh, danach wurde die Thermik stärker und verlässlicher. Wir flogen in einer imposanten Kulisse! Eine einsame, fast unberührte, wilde Landschaft. Berge, Gletscher, Täler – soweit wir sehen konnten. Von Zeit zu Zeit og ein Geier mit uns.
Wir tauchten in eine Welt ein, die so nur mit dem Gleitschirm erreichbar ist. So viele Sachen passierten gleichzeitig, dass ich die erlebten Emotionen schwierig in Worte fassen kann. Doch unsere strahlenden Gesichter nach der Landung sagten alles. Meistens ogen wir in einem Umkreis von 30 km. Möglichst so, dass wir uns immer sehen konnten und eine sichere Landeoption hatten. Bablu und Rockey blieben im Base Camp unten. Sie hatten ebenfalls einen Funk, damit wir uns bei ihnen über die Bedingungen am Landeplatz informieren konnten.
Nach der Landung wurden wir sogleich von den Dorfbewohnern um- kreist; neugierig bestaunten sie uns und unser Material. Am späteren Nachmittag begann das Lagerleben: Karten spielen, lesen, kochen, waschen – einfach zusammen sein und geniessen.
Unermüdlich
Alles war perfekt: Unsere Gruppe, der Kontakt mit den Einheimi- schen, die Flüge. Knapp eine Woche waren wir nun da, alles hatte sich gut eingespielt. Nach einigen Tagen machte sich eine Inversion breit, die das Fliegen erschwerte. So auch am 11. November. Wir warteten am Startplatz lang auf guten Aufwind. Der Tag war sonnig, es wurde immer wärmer und der Talwind immer stärker. Die Inversion oder das westlich gelegene, thermisch sehr aktive Tal waren der Grund, weshalb der Talwind teilweise seitlich abgelenkt wurde. Andrej startete im guten Aufwind, og aber nach vergeblicher Thermiksuche direkt zum Base Camp runter. Er meldete uns via Funk, dass die Verhältnisse am Landeplatz gut seien. Daraufhin machte sich Bodo bereit, wartete auf günstige Windverhältnisse und startete. Als er den Schirm beim Hochziehen für den Start anbremste, entglitt ihm die linke Bremsschlaufe – im gleichen Moment hob er ab. Da er auf der rechten Seite abgebremst hatte, kam es kurz nach dem Start zu einer Drehbewegung nach rechts, also mit dem Talwind. Vergeblich versuchte Bodo, nach der entglittenen Bremsschlaufe zu greifen; er konnte sie nicht rechtzeitig fassen und kollidierte – Füsse voran – mit einem Felsvorsprung.
Sofort rannten Kubo und Gabo so schnell sie konnten zur Unfallstelle. Ich suchte hastig meinen Erste-Hilfe-Set und den Spot und meldete den Unfall via Funk an Andrej. Dann rannte auch ich zu Bodo. Er war, bis auf eine kurze Amnesie, bei vollem Bewusstsein, hatte aber fast unerträgliche Schmerzen wegen den Verletzungen an den Beinen. Kopf und Oberkörper waren wie durch ein Wunder nicht betro en. Wir nahmen Bodo sorgfältig aus dem Liegegurtzeug und versuchen, ihn bestmöglich zu lagern, was aber wegen seinen enormen Schmerzen und den Frakturen kaum möglich war.
Später kam Andrej mit einigen Einheimischen zu uns hoch. Sie hatten Bretter, Latten und Seile für den Bau einer Bahre dabei. Ich versandte mit dem Spot die vorprogrammierte «Hilfe»-Nachricht und rannte zum Base Camp hinunter, um stärkere Schmerzmittel zu holen. Ein Heliko- pter sei anscheinend bereits alarmiert worden. Nach langem Warten wurde jedoch klar, dass er nicht kommen wird. Wir benötigten ein Nachtlager. Wie selbstverständlich anerboten uns die Dorfbewohner einen Raum mit Ofen – ein dunkler, rauchiger Keller, der uns aber vor Wind und Kälte schützte und genügend Platz bot, um Bodo bestmöglich zu lagern.
Zäher Prozess
Nun mussten wir agieren und durften nicht auf einen Helikopter warten. Wir mussten in der nächsten Ortschaft persönlich Hilfe organisieren. Deshalb teilten wir uns auf. Kubo und Gabo machten sich gegen 21 Uhr auf den 32 km langen Weg nach Gulabgarh. Von dort dauert die Fahrt nach Kishtwar mit dem Jeep einen halben Tag. Um 10 Uhr trafen die beiden im Verwaltungsbüro des Bezirks Kishtwar ein. Alle wussten bereits Bescheid, doch niemand hatte etwas getan. Das Militär, das als einzige eine Rettung durchführen konnte, benötigte ein schriftliches Rettungsaufgebot der schweizerischen Botschaft in Mumbai. Weil diese am Samstag solche Gesuche nur bis 11 Uhr bearbeitet, kontak- tierten Kubo und Gabo das EDA. Als sie nach einer Stunde Warten keine Antwort erhielten, machten sie ein «Leben in Gefahr»-Post auf der Facebook-Seite von Krischa Berlinger. Krischa rief das EDA an – was Energie in den bürokratischen Prozess brachte. Das EDA erreichte auch Bodos Vater, nun lief die Maschine. Endlich, um 13 Uhr, erhielten Kubo und Gabo eine o zielle Stellungnahme der schweizerischen Botschaft in Mumbai für die Rettung von Bodo. Nur: Nachdem alle benötigten Do- kumente und Nachweise dem Militär zugestellt waren, konnte der Helikopter wegen der fortgeschrittenen Tageszeit nicht mehr starten. Der Flug wurde für Sonntagmorgen geplant – sofern das Wetter mitspielt.
Während dieser Zeit blieben Andrej und ich bei Bodo und pflegten ihn, so gut es ging. Bodo ist Rettungssanitäter und konnte uns gezielte Anweisungen geben. Alle zwanzig Minuten lagerten wir ihn um. Um seine Schmerzen erträglicher zu machen, bastelten wir eine Beinschiene und verabreichten ihm alle drei bis vier Stunden Schmerzmittel. Auf das Essen verzichtete er, weil er sich in seiner Lage nicht erleichtern konnte resp. wegen den Schmerzen und Frakturen nicht wollte. Wasser mit Elektrolyten war das einzige, was er zu sich nahm.
Gemeinschaft ist wichtig
Währenddessen kamen immer wieder Einheimische vorbei und fragten, ob wir etwas brauchen, oder sie waren ganz einfach nur da. Diese Gesten hatten uns viel Kraft gegeben. Wir versuchten, Kontakt mit der Polizei in Gulabgarh aufzunehmen – wie es mit der Rettung vorangehe. Die Qualität des Funks machte dies aber zu einem schwie- rigen Unterfangen. 42 Stunden lang warteten wir mit dieser Ungewissheit! Die Rettung per Helikopter war unsere einzige Chance. Ein Transport auf der Bahre über 32 km mit derart schweren Verletzungen und anschliessende Fahrt über 65 km auf einer Holperstrasse erschien uns unmöglich. Die Gefahr innerer Blutungen wäre schlicht zu gross gewesen, zudem fehlten uns starke Schmerzmittel.
Solange wir den Helikopter nicht hörten, glaubten wir nicht daran, dass er wirklich kommt. Eine Erlösung, als wir am 13. November gegen 8 Uhr tatsächlich das Geräusch der Rotoren hörten. In einer emotio- nalen Achterbahn packten wir das Wichtigste zusammen, ich quetschte mich mit Bodo in das Lama des indischen Militärs. Das ganze Dorf half mit und verabschiedete uns.
Eine Stunde dauerte der Flug nach Jammu. Im örtlichen Spital wurden wir bereits erwartet. Nun folgten Notfallmassnahmen, Wund- versorgung, Röntgen, linke Hüfte einrenken, intravenöse Schmerzmittel und Antibiotika und die Organisation der Repatriierung durch die Rega. Das Spitalzimmer teilten wir mit 17 anderen Patienten und deren Angehörigen. Nach zwei Nächten wurde Bodo mit einem indischen Ambulanzjet von Jammu nach Delhi ge ogen. Dort holte ihn die Rega ab und brachte ihn in die Schweiz zurück, wo er die dringend benötigte weitere medizinische Versorgung bekam.
Jetzt erst konnten wir aufatmen und beginnen, das Erlebte zu verar- beiten. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir alle einfach nur funktioniert. Ich denke aber, dass dieses «nur funktionieren» einer der Gründe dafür war, dass wir genug Energie hatten, all dies überhaupt durchzustehen und als Team Hand in Hand anzupacken. Auf dieser Reise haben wir gelernt, wie wichtig eine Gemeinschaft ist! Sei es gemeinsam die Ge- fühle zu teilen, nach einem Flug auf 6500 m hinauf, oder einem Freund ohne Wenn und Aber in der Not beizustehen und ihm mit aller Energie zu helfen. Happiness is only real when it‘s shared.
Allein hätte ich es nicht geschafft
Der nordindische Himalaya hat mir immer wieder unvergesslich schöne Momente geboten. Ich möchte mich bei Andrej, Kubo, Gabo, Tobi, Rokey, Bablu und allen Beteiligten, für mein neugeschenktes Leben bedanken. Jeder von uns hat enorm viel Energie in diese Rettung gesteckt. Ohne euch dort oben und ohne den unermüdlichen Teamspirit hätte ich das auch im besten Fall nicht gescha t. Wir haben das schier unmögliche erreicht, und ich wurde nach nur vier Tagen aus dem Himalaja in die Schweiz repatriiert. Es war knapp. Nach diversen Operationen und einem längeren Spitalaufenthalt bin ich glücklich und dankbar in der Rehabilitation. Bodo Zimmermann
Flugferien «Off the beaten track» (nicht vollständige Checkliste für einen Unfall)
Hier eine Liste von Tipps für Gleitschirmreisen abseits üblicher Routen, vor allem in Drittwelt- oder Schwellenländern. Dies zur Vorbereitung, damit man bei einem hoffentlich nicht eintretenden Unfall gewappnet ist. Zusammengestellt von Tobias, Kubo, Gabo, Andrej und Krischa. Die aufgelisteten Gegenstände hatten sie im Outback von Kashmir entweder dabei, oder sie wären froh gewesen, wenn sie dies dabei gehabt hätten.
Zwei-Weg Satellitenkommunikations Gerät mit Livetracking. Vorteile:
Notrufalarm über GEOS
aktuelle (oder letzte bekannte) Position auf dedizierter Webseite
direkter Kontakt über Textnachrichten
Sich bei GEOS informieren, wie die Rettung bei Betätigung des Notruf vonstatten geht, bspw. über private Rettungsfirmen oder über die Regierung/Milit.
Sich beim EDA über die politische Situation informieren. Eine Rettung kann in gewissen Regionen erschwert oder unmöglich sein.
Klären, ob eine Bergung in dieser Region von der Unfallversicherung gedeckt wird.
Notfallplan:
1. Erste Hilfe dem Verunfallten geben
2. Eine Führungsperson bestimmen die den Alarm über den Zwei-Weg Satellitenkommunikations Gerät auslöst.
3. Aufgaben aufteilen
Eine Hauptkontakt Person zu Hause:
Sie steht in erstem Kontakt zur Führungsperson vor Ort
Über sie geht jeglicher Informationsaustausch
Sie kontaktiert das EDA, ggf. die Rega und die Bezugspersonen
Schriftliches und online verfügbares InfoBlatt von jeder Person mit:
Personalien, Scan vom Pass, Blutgruppe, Allergien, Unfallversicherungsnachweis, Rega-Gönner Nummer, wichtige Telefonnummern, ...
Robuste und bequeme Matte
Fliegt immer mit:
starke Schmerzmittel (Wenn möglich in Form von Tropfen)
Breitbandantibiotika
Antihistaminika
Cortison (kann bei allergischer Reaktion, aber auch bei Höhenkrankheiten wie Lungen - oder Hirnödem eingesetzt werden)
Material zur Wundversorgung
Notfall- Wärmedecke (Gibt es auch als Biwaksack)
Wasserentkeimungs Tabletten
Riegel, Schokolade, …
Stirnlampe
Zwei-Weg Satellitenkommunikations Gerät mit Livetracking
GPS Gerät
Sackmesser, Zange und Repair-Kit
- Battery Pack mit entsprechenden Kabel
Landkarte: